Kleine Geschichte der Fliesenkunst in Portugal

Maurische Ursprünge

Azulejo, der Begriff steht heute als Synonym für die berühmten spanischen und portugiesischen Fliesen. Das Wort ist vom arabischen Azzelij oder Al Zulaij abgeleitet - flacher oder polierter Stein. Dieser sprachliche Übergang zeigt auch plastisch, woher die Technik der südeuropäischen Wandfliesen stammt: Ihre Ursprünge liegen in den maurischen Kalifaten und Königreichen, die ab dem 8. Jahrhundert die Entwicklung der iberischen Halbinsel prägten.

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begann aus Valencia (Spanien) der Import von Fliesen nach Portugal, zunächst Mosaikfliesenböden, oft für Kirchen oder Klöster (z.B. Alcobaca). Nach und nach begann man, mit Fliesen auch Wände zu gestalten. König Manuel ließ, angeregt durch einen Besuch in Kastilien (Spanien), Fliesen von dort ins portugiesische Sintra bringen.

Der eindrucksvolle Palacio Nacional de Sintra unweit von Lissabon zeigt auch heute noch die zeitlich nacheinander entwickelten Fliesentechniken wie Corda-Seca-, Aresta- und Fayencemalerei. Bei einem Besuch kann man ideal die verschiedenen Techniken besichtigen und vergleichen. Man kann von Lissabon aus bequem mit der S-Bahn einen Tagesausflug nach Sintra machen. Wenn Sie Sintra nicht selbst besuchen können, finden Sie im folgenden Text ein paar Stationen der Entwicklung der Fliesenkunst.

palacioPalacio Nacional de Sintra, nahe bei Lissabon

Die älteste maurische Herstellungsart ist die arbeitsintensive Alicatado-Technik (Alicatados =  Mosaikfliesen). Dazu wurden aus Tonplatten Formen unterschiedlichen Formats ausgeschnitten, dann erst farbig glasiert und anschließend auf einem Mörtelgrund zu Mosaikmustern zusammengesetzt. Im Palacio Nacional u.a. im sog. Sala dos Arabes zu sehen.

alicatadoLinks: Sala dos Arabes, Alicatado-Fliesen. Rechts: Alicatado-Fliesen im Detail (Sala dos Arabes)

Für die Corda Seca Technik (Cuerda Seca = trockene Schnur), 13. Jahrhundert, wurden Furchen in den ungebrannten, noch weichen Ton gezogen und in diese ein mit Wachs oder Öl getränkter Faden gelegt. Die Farben der verschiedenen Felder laufen dadurch während des Auftragens und auch beim Brennvorgang nicht ineinander.

cordasecaLinks: Corda-Seca-Fliesen. Rechts: Corda-Seca- und Alicatado-Fliesen

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts ging man dann zur sogenannten Aresta- oder auch Cuenca-Technik über (Cuenca = Mulde, Höhlung). Dafür wird ein Muster in Ton gedrückt und die Umrisse bleiben als erhöhte Stege stehen. In die Vertiefungen werden dann die farbigen Glasuren eingefüllt. Die Motive sind denen der Corda-Seca-Technik ähnlich, jedoch ist die Glasur weniger abriebgefährdet. Unsere sogenannten Relieffliesen (Bild unten rechts) nehmen diese Techik und auch die alten Motive wieder auf. Jedes einzelne Farbfeld wird aufwendig von Hand glasiert, indem die Glasur mit einer feinen hohlen Nadel in jedes Feld gefüllt wird.

relieffliese Links: Maurisches Muster, Fliesenmuseum Lissabon. Rechts: Relieffliese "Castil", nach alten Vorlagen

Fayence-Technik

In der Mitte des 16. Jahrhunderts entstand die Majolica- bzw. Fayence-Technik. Diese technische Innovation ermöglichte auch bildhafte Darstellungen.

fayencefliesenFayence-Technik

Die Bezeichnung Majolika leitet sich vom südspanischen Ort Malaga ab, aus dem keramische Erzeugnisse nach Valencia und von dort nach Italien, insbesondere nach Neapel gelangten. Dort schmückten sie Paläste und Gebäude des neapolitanischen Hofes. Bald begannen auch Werkstätten in Italien selbst, Fliesen zu produzieren, weniger für den Alltag, sondern als sehr prunkvolle luxuriöse Waren.
Der Begriff Fayence leitet sich vom italienischen Keramikzentrum Faenza ab. Bei der Fayence-Technik wird eine bereits gebrannte Fliese mit Glasuren bemalt und dann nochmals gebrannt. Dabei verschmelzen die Farben mit der milchig-weißen darunter liegenden Glasur und bilden eine widerstandsfähige und farbechte Oberfläche. Fliesenmaler benötigen dafür ein großes Abstraktionsvermögen, denn die gewünschten Farben sind zum Teil erst nach dem Brand erkennbar. Außerdem sind Korrekturen an der Glasur nach dem Auftrag nicht mehr möglich. 

Fliesenkunst in Blau-Weiß

Im 17. Jahrhundert kam durch den Import chinesischen Porzellans nach Europa die Farbkombination Blau-Weiß in Mode und wurde zunächst insbesondere von holländischen Fliesenmalern aufgegriffen. In Holland zierten Fliesen auch die Küchen einfacher Wohnhäuser. Leider ist dieser Wandschmuck heute kaum noch erhalten. In Portugal wurden eher Paläste und Landsitze, für deren Erhalt besser gesorgt wird, mit Fliesen ausgestattet.

Ende des 17. Jahrhunderts entwickelten die portugiesischen Fliesenmaler einfache Fliesenmotive mit Figuren, Tieren, Blüten usw., pro Fliese ist ein Motiv dargestellt. (unsere "Motivfliesen" / "Single figure tiles"). Diese wurden in weniger repräsentativen Räumen wie Flure und Küchen verwendet. Man vermutet, dass diese Fliesenherstellung auch der Übung und dem Anlernen von Fliesenmalern diente.

In unserem Fliesensortiment Dekorfliesen 14x14 finden Sie ausgewählte Motivfliesen nach solchen alten Vorlagen (Serie Braga, z. B. Motiv Hund).

motivfliesenLinks: Motivfliesen, Ende 17. Jahrhundert, Fliesenmuseum Lissabon.
Rechts oben: Motivfliese Korb  aus unserem Sortiment. Rechts unten: Motivfliese Hund aus unserem Sortiment

Wanderbewegungen der Handwerker zwischen Holland und Portugal führten immer wieder zu Austausch und Weiterentwicklung von Herstellungstechniken und künstlerischer Darstellung. Auch in Portugal wurden Fliesen nun eher von Künstlern gemalt und vermehrt Nachwuchs an Fliesenmalern ausgebildet. 
Barockstil mit großflächigen Darstellungen war gefragt. Religiöse und mythologische Darstellungen, Jagd, Landwirtschaft und gesellschaftliches Zusammentreffen wurden in opulenten Stil dargestellt.

barockDetail Wandbild, Palacio Nacional de Sintra

In der Mitte des 18. Jahrhunderts stiegen die Ansprüche der Kunden durch neuen Reichtum aus den Kolonien (z.B. Brasilien). Aus dieser Zeit stammt auch die Ausstattung von vielen öffentlichen Gebäuden wie Bahnhöfen und Rathäusern mit Fliesen, sowohl innen als auch außen. Wandbilder wurden nun eher realistisch gemalt, enthielten jedoch auch Elemente des Rokoko. Ein Beispiel dafür ist der Bahnhof Sao Bento in Porto.

bahnhofBahnhof  Sao Bento in Porto, Fertigstellung 1916

Im Jahr 1849 wurde die Manufaktur Viuva Lamego in Lissabon gegründet. Die Fassade ist reich verziert mit Fliesenbildern. Das Gebäude beherbergt auch heute einen Laden mit Fliesenausstellung und -verkauf aus der eigenen Herstellung. Ein Besuch dort lohnt sich auf jeden Fall. Wir können alle lieferbaren Fliesen aus dem Laden für Sie ab Werk bestellen (falls Ihr Reisegepäck zu klein ist ...)
Adresse: Viuva Lamego (Ladengeschäft), Largo do Intendente 25, 1100-285 Lissabon

manufakturLinks: Historische Fliesen-Manufaktur Viuva Lamego, Lissabon. Rechts: Detail der Fassade: Gründungsjahr 1849

Die Fliesenproduktion selbst befindet sich inzwischen in Sintra bei Lissabon. Von dort stammt auch ein Großteil unseres Sortiments. Neben den traditionellen handbemalten Fliesen werden dort in Zusammenarbeit mit internationalen Künstlern auch ganze Wandgemälde aus Fliesen für öffentliche Bereiche hergestellt.
Eindrucksvolle Beispiele dafür sind die Wandbilder in der U-Bahnstation Oriente. Diese wurden zur "Expo 98" (Weltausstellung) installiert.

Auch das Fliesenmuseum Museu Nacional do Azulejo in Lissabon ist einen Besuch wert. Es ist untergebracht in einem alten Kloster (Convento da Madre de Deus), so dass auch Teile des Gebäudes selbst sozusagen Exponate sind, z. B. die gefliesten Kreuzgänge. Nach einem Rundgang kann man noch den schönen Innenhof des Museums-Cafés genießen.
Adresse:
Museu Nacional de Azulejo
Rua de Madre de Deus
1900-312 Lissabon

Glossar:

Alicatado-Technik: Alicatados = Mosaikfliesen
Aus Tonplatten werden Formen unterschiedlichen Formats ausgeschnitten, dann erst farbig glasiert und (noch einmal) gebrannt und anschließend auf einem Mörtelgrund zu Mosaikmustern zusammengesetzt.

Azulejo: abgeleitet vom arabischen Azzelij oder Al Zulaij = flacher oder polierter Stein.

Corda-Seca-Technik: Cuerda Seca = trockene Schnur
Hierfür werden Furchen in den ungebrannten, noch weichen Ton gezogen und in diese ein mit Wachs oder Öl getränkter Faden gelegt. Die Farben der verschiedenen Felder laufen dadurch während des Auftragens und auch beim Brennvorgang nicht ineinander.

Cuenca-Technik: Cuenca = Mulde, Höhlung
Wird auch als Aresta-Technik bezeichnet.
Dafür wird ein Muster in Ton gedrückt und die Umrisse bleiben als erhöhte Stege stehen. In die Vertiefungen werden dann die farbigen Glasuren eingefüllt.

Fayence-Technik:
Wird auch als Majolika-Technik bezeichnet.
Der Begriff Fayence leitet sich vom italienischen Keramikzentrum Faenza ab. Bei der Fayence-Technik wird eine bereits gebrannte Fliese mit Glasuren bemalt und dann nochmals gebrannt. Dabei verschmelzen die Farben mit der milchig-weißen darunter liegenden Glasur und bilden eine widerstandsfähige und farbechte Oberfläche.
Majolika leitet sich vom südspanischen Ort Malaga ab, aus dem keramische Erzeugnisse nach Valencia und von dort nach Italien, insbesondere nach Neapel gelangten.
Allerdings gibt es für diesen Begriff auch noch eine weitere Deutung: Die spanischen Fliesen gelangten über Mallorca als Umschlagplatz nach Italien. Der Begriff könnte also auch vom Inselnamen Mallorca abgeleitet sein.

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